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Ein Augenblick der mein Leben verändert

Ein Augenblick der dein Leben verändert.                                              11/94

Christoph Swoboda über die Arbeit von Salama Inge Heinrichs.

 

 Toskana, Sommer 1989

Da sitze ich nun und starre in die Augen der Frau )* , die ich liebe und mit der ich seit Jahren zusammen bin. Kälte macht sich in meinem Körper breit, Kälte schlägt mir entgegen. Ich bin wie gelähmt, ohne jede Regung, ohne einen Laut, ohne Worte. Ein Mann setzt sich hinter mich, legt seine Hand auf meinen Rücken und fragt ob er meine Stimme sein darf. "Siehst Du denn nicht das ich Dich liebe?" sagt er für mich. "Ich liebe Dich, und ich bin bereit alles für Dich zu tun. Ich lege Dir mein Herz zu Füßen und Du trampelst darauf herum. Ich krieche im Staub vor Dir, ich reiße mir die Eingeweide aus dem Leib, was immer Du willst, ich tu es. Aber bitte, bitte liebe mich, nimm mich an, denn ich kann ohne Dich nicht leben."

Tränen schießen in meine Augen, ein Schluchzen bahnt sich den Weg durch meine Kehle. Seine Worte scheinen direkt aus meinem Herzen zu kommen. Nie hätte ich mein Innerstes so preis gegeben, nie hätte ich meinen Schmerz, meine Angst so offen formuliert.

Die Augen mir gegenüber füllen sich mit Tränen. Ich warte auf ein Lächeln, eine ausgestreckte Hand, eine Geste. Aber ihr Gesicht bleibt hart und ihre Stimme flü­stert: "Ich liebe dich nicht mehr, Du bist ein Sauger, ein Waschlappen. Ich kenne das, das will ich nicht mehr. Ich liebe dich nicht." Jetzt scheint ihr Blick mich zu töten.

Und dann, von einem Moment auf den anderen, wie wenn ein Schalter in meinem Inneren umgelegt wird: Eine nie gekannte aber doch uralte Wut zerbricht alle Rie­gel und Verschlüsse, die Angst, Erziehung und gute Sitten vor ihren Kerker gelegt haben. Ich kralle meine Fäuste in das Kissen vor mir und schlage es immer wieder, mit unheimlicher Kraft auf den Boden. Ich brülle wie ein Tier, mein Mund schäumt, ich stoße die übelsten Beschimpfungen aus, bin Monster, Mörder und zorniger Gott in einem. Ich schrei und schlage. Und alle tauchen sie vor mir auf, Frauen, Freun­dinnen, Erzieherinnen, Kindermädchen, Großmütter, Tanten, Säuglingsschwestern und meine Mutter. Alle für die ich bereit war alles zu tun, damit sie dableiben, mich annehmen, mich lieben. Ich brauche ihre Liebe, damit ich leben kann, damit ich überleben kann. Aber ich schreie und schlage, schreie und schlage. Ich will nicht sterben, ich will leben, und ich spüre die Kraft dazu. Ich spüre die Lust zu Leben und die Lust an mei­ner Stimme, die klingt wie ein Löwe. Ich schreie und schlage, schreie und schlage ich weiß nicht wie lange. Erschöpft laß ich mich auf eine Matratze sinken. Ich spüre das Leben in meinem ganzen Körper so wie ich es noch nie gespürt habe. Ich bin erschöpft, schweißüberströmt und glück­lich. Ich bin 37 Jahre alt, gesund und habe einen Beruf der mich ernährt. Wenn ich will gehört mir die Welt. Ich kann al­leine Leben. Aber ich bin nicht al­lein, Hände streicheln über meinen Körper, ich liege in Armen die mich halten und spüre die Wärme der Körper neben mir. Ich zit­tere und weine vor Glück. Es ist als wären eiserne Klammern von meinem Herzen gesprungen, das jetzt befreit, weit und groß, vor Freude bebt. Ich öffne die Augen und sehe SIE. Ihr Gesicht ist tränen­nass, warm und weich. Auch sie zit­tert vor Erschöpfung, auch sie hat den Haß auf die Monster ihrer Vergangenheit heraus gebrüllt, alle Kälte ist von ihr gewichen. Wir schauen uns an und da ist nur noch Liebe. "Ich liebe Dich." "Ja, ich liebe Dich." Ich sehe in ihr die Göttin, bin selbst ganz liebender Gott. Wir versin­ken in einer nicht enden wollenden Umarmung. Wir sind in der Toscana, Teilneh­mer einer Selbsterfahrungsgruppe mit Salama. In zwanzig Minuten gibt es Mit­tagessen.....

 

Ich habe Salama Inge Heinrichs und ihre Arbeit 1989 kennengelernt. Von Anfang an war ich fasziniert von ihrem breit gefächertem Wissen, ihrer umfassenden Ausbil­dung und Erfahrung. Sie beherrscht die Methoden der klientenzentrierten Ge­sprächstherapie, der Bioenergetik, Encounter, Gestalt und Primärtherapie ge­nauso wie Rebirthing, Trance, Chakra und Auraarbeit. Sie ist eine Kennerin des Tantra, der Astrologie, der Kabbala und des Tarot. Sie arbeitet mit Meditationen, tibetani­schen Heilmethoden, Tiefengewebstimulation und De-Hypnose. Sie ist 73 Jahre alt und hat sich, bei aller Weisheit, eine erfrischende Neugier und Flexibili­tät bewahrt. Sie kennt keine Dogmen und ist keiner "Schule" treu erge­ben. Re­spektlos mischt sie in ihrer Arbeit Methoden und Ansätze um genau der jeweili­gen Situation, dem je­weiligen Klientel und der jeweiligen Problemstellung ge­recht zu werden. Ge­meinsam mit ihren Töchtern und Mitarbeitern arbeitet sie in ihrem "Institut für Bewußtsein und Selbsterfahrung" an der Verfeinerung, Weiter- und Neuentwicklung ihrer Methoden. So hat sie zum Beispiel als erste den japani­schen Butho-Tanz in ihre Arbeit einbezogen und mit dem "Tanz der Seele" eine kraftvolle und intensive Möglichkeit der kreativen Selbsterfahrung geschaffen.

 

Ostern 1989 in Italien nahm ich zum erstenmal an einer Selbsterfahrungsgruppe mit Sa­lama teil. Die Körperarbeit und die Meditationen weckten meine Lebensener­gie. Ich entdeckte einige Potentiale in mir, die es zu leben galt. Ich hatte Spaß am Le­ben, eine gute Zeit. Die "großen Dramen" überließ ich anderen, die "es nötig" hat­ten, hielt mich zurück und genoß die Sonne Italiens. Es blieb das Gefühl eine Chance nicht genutzt zu haben, und so fuhr ich im Sommer, gemeinsam mit mei­ner Freundin, wieder in jenes bezaubernde Bauernhaus, Romitorio, in der toska­nischen Maremma. Eine dumpfe, schwer definierbare Unzufriedenheit legte sich auf mein Gemüt. Lebensfreude wollte sich nicht einstellen. Mißmutig und miß­trauisch beob­achtet ich die anderen und meine Freundin. Machte ich alles rich­tig? Gefiel ich den anderen? Ich arbeitete mit, ließ mich ein, wollte gefällig sein. War aber grantig, muffelig und mein Haussegen hing mehr als schief. Und dann kam der Moment, ich weiß nicht mehr wie, in dem mich Salama mit sanfter Hart­näckigkeit mit mir selbst konfrontierte. Da saß ich nun auf dem Boden und starrte in die Augen der Frau die ich liebte und mit der ich seit Jahren zusammen war....

Dieser Augenblick hat mein Leben verändert. Schlagartig wurden mir Programme und Muster bewußt, die meine Beziehungen und meinen Umgang mit Menschen be­stimmten. Muster die irgendwann ihre Notwendigkeit und Berechtigung gehabt ha­ben mögen, heute aber behindern und bewußte Begegnung, bewußtes Leben un­möglich machen.

 

Persönliche Ent-wicklung aus den Verstrickungen unserer Geschichte ist ein lang­wieriger Prozeß. Freund werden mit mir selbst, neue Wege ausprobieren, Antworten finden und Verantwortung für mein Leben übernehmen, das sind Etap­pensiege auf dem langen Weg der zu werden, der ich wirklich bin.

 

Salamas Jahresgruppe "Transformation", mit ihren zehn Wochenenden auf dem Land bei München, die unterstützende Arbeit der Kleingruppen und meine an­schließende Zeit als "Caretaker" und Assistent taten das ihre. Mein Leben hat sich geändert. Heute bin ich selbst, neben meiner Tätigkeit als Schauspieler und Leiter eines Mu­siktheaters, Mitarbeiter an Salamas Institut. Ich freue mich und bin glücklich in dieser Arbeit immer wieder die Entwicklungs- und Wachstumsprozesse anderer Menschen miterleben zu dürfen. Ich darf Anteil nehmen an einem Prozeß, der Freundschaft entstehen und Liebe sichtbar werden läßt; einem Prozeß der Hei­lung, der nicht nur jeden einzel­nen, sondern den ganzen Planeten betrifft.

)* 1989 ist lange her. Die erwähnte Frau ist nicht identisch mit meiner Ehefrau, mit der ich seit 1999 zusammen und seit 2003 verheiratet bin.Christoph Swoboda

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